FAQ

KNOTEN

Was hat es mit dem Knoten auf sich?

Beim „Knoten“ handelt es sich um eine Plastik aus dem 3D-Drucker, die am Pfosten eines Straßenschildes angebracht wird. Die Idee der Kennzeichnung durch einen „Knoten“ ist aus einem Wettbewerb unter Studierenden hervorgegangen. Ursprünglich sollten die Markierungen nur anzeigen, dass zu den betreffenden Straßen gerade geforscht wird. „Da abzusehen war, dass die Forschungsarbeiten und die Arbeit der Kommission Zeit in Anspruch nehmen würden, wollte die Verwaltung die in der Diskussion stehenden Straßennamen im öffentlichen Raum kenntlich machen“, heißt es dazu im Abschlussbericht der Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen. Zunächst wurden elf Straßen, die nach Personen benannt sind, die mit dem NS-Regime, mit Antisemitismus, Kriegsverbrechen oder Kolonialismus in Verbindung standen, auf diese Weise gekennzeichnet. Der „Knoten“ war als temporäre Markierung gedacht, die darauf hinweisen sollte, dass aktuell zu den betroffenen Namensgebern geforscht und anschließend diskutiert wird, ob die betroffenen Straßen umbenannt werden sollen oder nicht. Im Januar 2023 sprach sich die Kommission dann plötzlich dafür aus, u.a. die Clara-Zetkin-Straße dauerhaft mit einem „Knoten“ zu versehen. Mit dieser Empfehlung hat sie selbständig und entgegen ihrem Auftrag die Markierung als dritte Kategorie – zwischen „Umbenennen“ und „Beibehalten ohne gesonderte Markierung“ – eingeführt. Die Knoten kosten pro Stück inklusive Montage 480 Euro.

KOMMISSION

Was war denn das für eine Kommission?

DEBATTE

Wie kam es zu der Debatte um Straßennamen und insbesondere um die Clara-Zetkin-Straße in Tübingen?

Seit 2020 war die Kritik an Straßennamen in Tübingen verstärkt Thema, insbesondere durch einen Antrag aus der Gemeinderatsfraktion „Die Fraktion“, welcher die Stadtverwaltung mit der Überprüfung der Frage beauftragte, ob Eduard Haber, Eduard Spranger und Wilhelm Schussen „würdig sind, mit Straßennamen geehrt zu werden“. Unterstützt durch die SPD-Fraktion schlug die Stadtverwaltung ein mehrstufiges Verfahren vor. Zunächst sollte der von Dagmar Waizenegger geleitete Fachbereich Kunst und Kultur des Kulturamts überprüfen, ob neben den drei im Antrag genannten Straßennamen weitere Namen einer Untersuchung bedürfen. Das Kulturamt legte dann eine Liste mit elf Namen vor – Personen, die mit dem NS-Regime, mit Antisemitismus, Kriegsverbrechen oder Kolonialismus in Verbindung stehen. Eine Historiker-Kommission unter Leitung von Dr. Johannes Großmann wurde beauftragt, die Biografien dieser Personen wissenschaftlich zu prüfen. „Ihren Arbeitsauftrag habe die Gruppe selbst ausgeweitet, so Großmann, und sämtliche Tübinger Straßennamen unter die Lupe genommen“, berichtete das Schwäbische Tagblatt im Januar 2023, als die Kommission ihren Abschlussbericht vorlegte. In diesem wurden statt der ursprünglichen elf dann 18 Namensgeber als „kritikwürdig“ eingeordnet – darunter auch Clara Zetkin.

ZETKIN

Wer war Clara Zetkin? Was sind ihre Verdienste um die Demokratie und Gleichberechtigung?

REGION

Was hat Clara Zetkin eigentlich mit Tübingen und der Region zu tun?

Nach der Rückkehr aus dem Exil in Frankreich 1890 bezog Clara Zetkin mit ihren beiden Söhnen zunächst eine Dachgeschosswohnung in der Rotebühlstr 147 in Stuttgart. 1899 heiratete sie den 18 Jahre jüngeren Kunstmaler Friedrich Zundel. Sie hatten zunächst eine gemeinsame Wohnung in der Stuttgarter Blumenstraße 34, dann zogen sie in ein neugebautes Landhaus in der Kirchheimer Straße 14 in Stuttgart-Sillenbuch. Dieses Haus entwickelte sich schnell zum Treffpunkt vieler Gleichgesinnter; auch Lenin war hier zu Gast, für einige Zeit wurde hier sogar ein Matrose des legendären Panzerkreuzers Potemkin versteckt. Im Jahr 1909 war Clara Zetkin Mitbegründerin des Waldheims in Stuttgart-Sillenbuch, das seit 1972 Clara-Zetkin-Haus heißt. Zundel verließ Zetkin für Paula Bosch, die Tochter des Industriellen Robert Bosch; die beiden lebten im von Zundel selbst entworfenen „Berghof“ (Villa Zundel) unweit der heutigen Clara-Zetkin-Straße im Tübinger Stadtteil Lustnau und sind auf dem Stadtfriedhof begraben. Ihr Sohn, der Physiker Georg Zundel, war friedenspolitisch engagiert und gründete die Berghof Foundation, eine Stiftung für Konfliktforschung. Die Kunsthalle Tübingen wurde im Gedenken an Friedrich Zundel und zur Unterbringung seiner Werke gegründet. Wie der Tagblatt-Anzeiger 2007 berichtete, musste sich Clara Zetkin 1919 in einer Wohnung in der Tübinger Neckargasse 4a verstecken, weil Rechtsradikale einen Mordanschlag auf sie geplant hatten. Dort sei sie etwa eine Woche geblieben, heißt es in einer 2022 erschienenen Biografie über Felix Weil, der die Rettungsaktion koordiniert hatte. Weil, damals politisch aktiver Student in Tübingen, 1924 dann Mitgründer der „Frankfurter Schule“, berichtete über Zetkins Rückkehr nach Sillenbuch: „Als wir mit Clara zurückkamen, hatte jemand alle Fenster mit Steinen eingeworfen. Wahrscheinlich aus Wut, dass das Haus leer war. Clara, meine alte mütterliche Freundin, hat mich später oft als ihren Lebensretter bezeichnet.“

BENENNUNG

Wie kam es zur Benennung der Clara-Zetkin-Straße?

BEDEUTUNG

Welche Bedeutung hätte die Markierung der Clara-Zetkin-Straße mit so einem Knoten gehabt?

Alle Namensgeber der ursprünglich elf Straßen mit „Knoten“ sind politisch rechts zu verorten. Dasselbe gilt auch für sämtliche Straßennamen, die der Empfehlung der Kommission zufolge eine solche Markierung bekommen sollten. Bei den betroffenen Personen nannte die Kommission als ethisch problematisch deren Antisemitismus, Mitwirkung am NS-Regime, Justiz- und Kriegsverbrechen, Rassismus, Kolonialismus, Autoritarismus und Demokratiefeindlichkeit. Clara Zetkin wurde also in eine Reihe gestellt mit den Faschisten, gegen die sie ankämpfte. Besonders merkwürdig erschien, dass die Kommission bei zwei Straßen, die nach NSDAP-Mitgliedern benannt sind, empfahl, bereits angebrachte Knoten kommentarlos wieder zu entfernen.

GEFAHR

Was ist die Gefahr daran, Clara Zetkin in eine Reihe mit Faschisten, Kriegs- und Kolonialverbrechern zu stellen?

VON WEM?

Von wem kam der Vorschlag, die Biografie Clara Zetkins durchleuchten zu lassen?

Bei der Podiumsdiskussion „Ein Knoten für Clara Zetkin?“ im März 2023 (Mitschnitt) wurden die Kommissions-Vertreter Großmann und Grewe aus dem Publikum heraus mehrmals gefragt, wer überhaupt auf die Idee gekommen sei, Clara Zetkin ins Spiel zu bringen. Anstatt konkret zu antworten, wichen sie aus – man könne sich nicht mehr genau erinnern – und betonten lediglich, dass die Kommission sich einstimmig für eine Markierung der Clara-Zetkin-Straße ausgesprochen habe. Im Abschlussbericht der Kommission heißt es: „In einer kursorischen Gesamtbetrachtung und vergleichenden Analyse überprüfte der Vorsitzende der Kommission alle 1059 Tübinger Straßennamen und glich sie mit der Auswahl des Kulturamts ab. Dabei erwiesen sich neben den elf Namen der ,Shortlist‘ weitere 76 Namen als ,problematisch‘. Zu ihnen wurden ergänzende Informationen eingeholt. Auch wurde überprüft, ob es bereits an anderen Orten bzw. in anderen Zusammenhängen Diskussionen über sie gegeben hat. Die Bearbeitung dieser ‚Longlist‘ ergab zusätzlichen Untersuchungsbedarf bei folgenden sieben Biografien: Theodor Dobler, Ernst von Fürst, Ludwig Krapf, Wilhelm Mönch, Emil Nolde, Albrecht von Württemberg und Clara Zetkin.“

BEGRÜNDUNG

Womit begründete die Kommission ihre Kritik an Zetkin?

UND WILHELM?

Weshalb sollte ausgerechnet die Clara-Zetkin-Straße einen „Knoten“ verpasst bekommen, aber etwa die Wilhelm- oder die Bismarckstraße nicht?

Die Entscheidung der Kommission, welche Straßen mit „Knoten“ versehen werden sollen und welche nicht, erscheint willkürlich; bei der Podiumsdiskussion „Ein Knoten für Clara Zetkin?“ im März 2023 (Mitschnitt) waren die beiden anwesenden Kommissions-Mitglieder Großmann und Grewe nicht in der Lage, nachvollziehbare Gründe für ihre Entscheidung zu nennen. Was aber bei Zetkin nur behauptet wurde, ohne belegt werden zu können, trifft beispielsweise auf Wilhelm I. von Württemberg zweifelsfrei zu: Tübingens repräsentativste Straße ist nach einem Monarchen benannt, der die bürgerliche Revolution 1848/49 niederschlagen ließ, Volksvertretungen generell ablehnte (er wollte das Volk „vom periodischen Fieber der Wahlen befreien“) und die Prügel- und Todesstrafe wieder einführte. Anders als bei Zetkin sah die Kommission laut ihrem Abschlussbericht bei Wilhelm aber „keine konkreten Hinweise auf eine ethische Problemlage“ – ein Skandal. Die Tübinger Lokalpresse bezeichnete deshalb den Vorschlag der Kommission im März 2023 als „Posse“ und forderte: „Lieber ein Knoten für Bismarck oder Ebert“. Bismarck war nicht nur ein vehementer Verfechter der Todesstrafe und hat deren Abschaffung persönlich verhindert, er erließ auch die antidemokratischen, repressiven Sozialistengesetze, aufgrund derer Ossip und Clara Zetkin ins Exil nach Paris mussten, wo sie unter äußerst bescheidenen Bedingungen lebten – was zur Folge hatte, dass Ossip Zetkin an Tuberkulose erkrankte und starb. Bismarck war „ein erklärter Gegner des Parlamentarismus, Erfinder der Sozialistengesetze, Militarist, Antisemit und Kolonialherrscher. Noch heute streiten seine Erben um koloniale Beutestücke. Nach dem ‚eisernen Kanzler‘ ist die längste Straße Tübingens benannt. Sie bleibt knotenfrei“, kritisierte die Tübinger Linke im Juni 2023. Bei der Gemeinderatssitzung am 26. Oktober stimmte eine knappe Mehrheit überraschenderweise für einen „Knoten“ für die Bismarckstraße. Der Wilhelmstraße wurde im Juni 2023 im Rahmen der von uns ausgerufenen Aktionswoche von Aktivisten symbolisch ein „Knoten“ verpasst.

EBERT

Und was ist mit Friedrich Ebert?

VORBILD

Wo gab es bereits ähnliche Debatten und Vorkommnisse?

In ihrem Abschlussbericht gibt die Kommission an, auch überprüft zu haben, ob es zu den aus ihrer Sicht „problematischen“ Namensgebern bereits an anderen Orten bzw. in anderen Zusammenhängen Diskussionen gegeben hat. Tatsächlich erinnert die Tübinger Debatte, wie auch Dr. Florence Hervé in ihrer Erklärung anmerkt, an die Umbenennung der Clara-Zetkin-Straße in Berlin-Mitte im Jahr 1995. In Ost-Berlin hieß seit 1951 die auf das Reichstagsgebäude zulaufende Parallelstraße zu Unter den Linden nach Zetkin. Nach der „Wende“ setzte der Berliner Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) 1993 eine Kommission zur Umbenennung von Straßen ein; deren Abschlussbericht von 1994 empfahl, die Straße nach einer Fürstin in Dorotheenstraße rückzubenennen, was trotz internationaler Proteste geschah. Damals war die erklärte Absicht, dass das Erbe der DDR im Stadtbild weniger sichtbar sein sollte. „Das Bonner Bundeskanzleramt unter Helmut Kohl griff persönlich ein, um zu verhindern, dass die Straße, die auf das Parlaments- und Regierungsviertel in Berlin zuläuft, nach der kommunistischen Abgeordneten und Alterspräsidentin des letzten Reichstages vor Hitlers Machtergreifung benannt bleibt“, berichtet Florence Hervé in ihrem Buch Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. In Marzahn-Hellersdorf, wo es seit 1987 einen Clara-Zetkin-Park gibt, provozierte diese Rückbenennung eine besondere Reaktion; auf einer Tafel im Park heißt es dazu: „Seit 1997 gibt es auch einen Clara-Zetkin-Platz und einen Clara-Zetkin-Weg in Berlin-Hellersdorf. Die Benennung erfolgte, nachdem 1995 die Clara-Zetkin-Straße am Reichstag in Berlin-Mitte trotz massiver Proteste nach der Kurfürstin Dorothea (1636-1689) rückbenannt worden war.“ In Stuttgart gab es 1997 einen Antrag der rechten Partei Die Republikaner, die Clara-Zetkin-Straße umzubenennen.

MOTIV

Was war die Motivation, neben Faschisten, Antisemiten und Kriegsverbrechern auch Zetkin als „kritikwürdig“ einzuordnen?

BÜNDNIS

Was hat es mit dem Aktionsbündnis auf sich?

Das Bündnis entstand zu Beginn des Jahres 2023 auf Initiative von Tübinger Einzelpersonen nach einer Überprüfung der Behauptungen und Quellen über Zetkin im Abschlussbericht der Kommission. Zunächst wurden die Ergebnisse der Recherchen in einem Fact Sheet gesammelt und verbreitet. Das Interesse und die Empörung nahmen schnell zu, woraufhin sich das Aktionsbündnis „Kein Knoten für Zetkin“ gründete. Es wurde von über 25 Organisationen und Einzelpersonen unterstützt. Es handelte sich um ein breites Bündnis aus feministischen, antifaschistischen und friedenspolitischen Initiativen und Einzelpersonen, darunter auch die Clara-Zetkin-Gedenkstätte in Birkenwerder, das Clara-Zetkin-Haus in Stuttgart und das Clara-Zetkin-Museum in Wiederau. Auch die Zetkin-Expertin Dr. Florence Hervé unterstützte das Bündnis.

RESONANZ

Was hat das Bündnis erreicht? Wie war die Resonanz?

ZIEL

Was war das Ziel des Bündnisses? Wurde dieses erreicht?

Der Zweck unseres Aktionsbündnisses war es, zu verhindern, dass die Clara-Zetkin-Straße mit einem „Knoten“ als „kritikwürdig“ markiert und Clara Zetkin so in die Nähe der Faschisten gerückt wird, gegen die sie kämpfte. Dass die Kommission und die Stadt Tübingen keine Unterscheidung zwischen Faschismus und Antifaschismus treffen wollten, fanden wir verheerend. Das erklärte Ziel unseres Bündnisses ist erreicht worden und wurde sogar übertroffen: In der Gemeinderatssitzung am 26. Oktober 2023 wurde mit 20 von 32 Stimmen beschlossen, dass die Tübinger Clara-Zetkin-Straße nicht mit einem „Knoten“ markiert wird, zudem beschloss der Rat mit knapper Mehrheit einen „Knoten“ für die Bismarckstraße – letztere war von Kommission und Stadt nie zur Markierung empfohlen worden. Auch ein nicht explizit benanntes Ziel unseres Bündnisses wurde verwirklicht: Clara Zetkin und das, wofür sie steht, wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Im Oktober 2023 schrieb das Schwäbische Tagblatt, dass Zetkin durch den Protest „innerhalb kürzester Zeit zur bekanntesten Namensgeberin einer Tübinger Straße avancierte“.

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